Martin Bruch/Reinhilde Condin: „Film ist“ 


Diagonale-Webnotizen 04/2009
Text von Martin Bruch & Reinhilde Condin
Bilder von Martin Bruch

Film ist: Kader aneinandergereiht, z.B. 25 Bilder pro Sekunde.

Jeder Mensch sieht anders, das Leben ist eine „Subjektive“.

Ich fotografiere subjektiv und seriell:

Fotos in Serie= Fotos in Bewegung= Film aus Fotos= Fotofilm= bewegte Bilder.

Sie werden so zur Fotofilmdokumentation oder Filmfotodokumentation.

366 Sturzbilder, „Bruchlandungen“, Momentaufnahmen nach dem Sturz
1089 „KofferRäume“, Momente im Verkehrsfluss, Begegnungen
6000 Zugfenster, im Rollstuhl sitzend aus dem fahrenden Zug, „Zugfensterserie“
Dazwischen rund 150.000 Handbikekader, „handbikemovie“
7007 Fensterbilder, im Rollstuhl sitzend aus dem Küchenfenster, „fenster / drei sätze“
ca. 9000 Kader, „home,movie“, im Rollstuhl durch die Wohnung, ein Projekt.

Die Kamera / der Fotoapparat, umgehängt, sitzend im Rollstuhl, fahrend im Handbike, ersetzt den Notizblock, Zeichenblock, das Notebook.
Die Kamera wird dokumentarisch eingesetzt, zum notieren von Augenblicken,
oftmals schräg, da ich die Kamera nicht mehr richtig halten kann.





Die Umstände ergeben eine ungewollte, auch spannende Perspektive mit aktionistischem und kommunikativem Charakter, da ich als Stürzender mit Helfern / Passanten in Interaktion trete, auch als Fotografierender von offenen Kofferräumen, die zum öffentlichen Raum werden, ablichte, oder auch meine Routen dokumentarisch festhalte.

Mein Leben ist zwar selbstbestimmt, kann aber nur mit Hilfe von Assistenz ablaufen, von morgens bis abends, rund um die Uhr, von der Zahnpflege zur Toilette, der Bekochung, der Vorbereitung zum Ausgang, Begleitung bei diesem, der Filmarbeit, von der Aufnahme bis zum Einspielen für den Schnitt, ein Projekt für sich.

Mein Werdegang, vom Geher zum Radfahrer, Gopedfahrer, Rollerfahrer, Rollstuhlfahrer, Handbikefahrer, seit fünf Jahren zum Standradfahrer in der Wohnung, veränderte auch meinen Blickwinkel bzw. die Perspektive.

Ich fahre / bewege / kurble das Handbike in eine Rolle/Ständer geschnallt.
Das Fahrzeug ist zum Hometrainer mutiert.
Ich reise kurbelnd am Stand vor dem Bildschirm, um die Welt, konsumiere / erlebe Dokumentationen, virtuell, da anders beschwerlich bis fast unmöglich.

Eine Reise vollzieht sich sowohl im Raum wie in der Zeit und in der sozialen Hierarchie.
(Claude Levi-Strauss „Traurige Tropen“ 1955)

Die Lust, die „eigenen“ Reiseeindrücke während des Kurbelns zu betrachten, bestimmt meine nächste Arbeit.

Martin Bruch & Reinhilde Condin, Arbeit & Leben in zehnjähriger Gemeinschaft in Wien


Martin Bruch