Diagonale-Webnotizen 07/2009
Von Gustav Deutsch
Ich fürchte sie jedes Mal aus Neue. Ob im Zug oder im Flugzeug von meinen Sitznachbarn und Reisegefährten, oder am Buffet bei einer Party von Festgästen –
irgendwann stellen sie sie – die Frage: „Und was sind sie von Beruf?“
Ich habe dann mehrere Möglichkeiten:
1. „Ich bin Architekt“
2. „Ich bin Künstler“
3. „Ich bin Filmemacher“
Auf diese drei Antworten folgen prompt die nächsten Fragen:
1. „Innen oder Außen?“
2. „Maler oder Bildhauer?“
3. „Spielfilm oder Dokumentarfilm?“ – oder wahlweise auch „Fürs Kino oder Fernsehen?“
Ich sollte vielleicht präzisere Antworten geben – so wie zum Beispiel „Chirurg“ oder „Neurologe“ statt „Arzt“. Meine Gefährtin im Leben und in der Kunst – Hanna Schimek – hat sich auf die Nachfragen welche Kunst sie denn mache eine Antwort zurechtgelegt:
„Mimi…äh…Minimi…na…Miminal…nein…Minimal Art!“
Lassen wir mal den Architekten und Künstler bei Seite.
Was könnte ich eindeutigeres als „Filmemacher“ sagen? Filmemacher – für mich klingt das ja nach gediegener Handarbeit, nach jemandem der mit großem Können und mit Geschicklichkeit in seiner Manufaktur Einzelstücke herstellt. Ja – es gibt natürlich solche Meister – vor allem in jenem Bereich dem ich gerne zugedacht werde – dem „Experimentalfilm“ oder dem „Avantgardefilm“. Doch im Hinblick auf meine Filme trifft das weder auf meine Arbeitsweise noch auf die Einordnung zu. Selbst wenn ich – um meine Arbeit zu präzisieren – den Begriff „Found Footage“ hinzufüge, würde dies weder zur eindeutigen Bestimmung noch zum Verständnis meiner Tätigkeit beitragen.
„Ich bin Experimental- und Avantgardefilmemacher im Bereich Found Footage Film“ zöge eine einzige Nachfolgefrage nach sich: „Und kann man davon leben?“
Anlässlich der Fertigstellung meines letzten Films habe ich von Hanna ein Buch geschenkt bekommen: „Notizen zum Kinematographen“ von Robert Bresson . Es ist eine Sammlung von Tagebucheintragungen Bressons, über seine Arbeit, das Kino, den Film. Er stellt in diesen Eintragungen viele Begriffe in Frage, die für den Film so selbstverständlich verwendet werden. Er schreibt:
Keine Schauspieler.
(Keine Schauspielführung.)
Keine Rollen.
(Kein Rollenstudium.)
Keine Inszenierung.
Sondern die Verwendung von Modellen, aus dem Leben genommen.
SEIN (Modelle) anstatt SCHEINEN (Schauspieler).
Oder:
Von einem im Theater verankerten KINO ist nichts zu erwarten.
Er hält aber auch – meist in Versalien geschrieben – fest, was für ihn zum Prinzip, zum Dogma seiner Arbeit geworden ist, Leitgedanken eines Meisters:
DER KINEMATOGRAPH IST EINE SCHRIFT MIT BILDERN IN BEWEGUNG UND MIT TÖNEN.
Oder:
NICHT REGISSEUR, NICHT FILMEMACHER, VERGISS, DASS DU EINEN FILM MACHST.
Ich finde diese Infragestellungen, diese Umbenennungen, diese knapp formulierten, aber aus langen Reflexionen resultierenden Bemerkungen erfrischend und erhellend.
Sie regen zum Nachdenken über den eigenen Schaffensprozess an, sie stellen die Kategorisierungen und Einordnungen in Frage, sie führen zurück zu dem was Film sein könnte im Gegensatz zum Mainstreamkino. Ich empfehle die Lektüre dieses schmalen Bändchens allen am Medium Film interessierten und allen mit dem Film arbeitenden Menschen.
Und ich habe beschlossen in Zukunft auf die befürchtete Frage: „Was sind sie von Beruf?“ zu antworten: „Kinematograph!“
Gustav Deutsch ist auf der Diagonale 2009 mit seinem neuen Film FILM IST. a girl & a gun vertreten.