Zu Gast: Stefan Krohmer 


Übergangszeiten
Zu den Filmen von Stefan Krohmer



Über Stefan Krohmers Filme kann man eigentlich nicht schreiben, ohne gleich auch ihren Autor Daniel Nocke zu erwähnen. Mitte der 1990er Jahre studieren beide an der baden-württembergischen Filmakademie in Ludwigsburg: Krohmer ist in Nico Hofmanns Regieklasse, Nocke studiert Drehbuch und Animation (eigene Animationsfilme entstehen seither parallel zur Drehbucharbeit). 1999 realisieren sie ihren ersten gemeinsamen Spielfilm, der zugleich ihr Abschlussfilm an der Hochschule ist: Er heißt Barracuda Dancing und behandelt bereits eines jener labilen Familien- und Beziehungsgeflechte, um die auch die späteren Kollaborationen immer wieder kreisen. (...) Der Film erhält mehrere Preise. Und er begründet die anhaltende Zusammenarbeit zwischen Autor und Regisseur. (...)

Man kann Stefan Krohmers und Daniel Nockes Filme als Gesellschaftsstudien beschreiben. Wobei es sich beim Studienobjekt ganz konkret um die westdeutsche Gesellschaft um die Jahrtausendwende handelt – beziehungsweise um deren Vorgeschichte (Sie haben Knut und der noch nicht veröffentlichte Dutschke). Das Gesellschaftssegment ist bürgerlich-aufgeklärt, akademisch gebildet. Die Figuren, Paare, Familien oder familienähnlichen Verbände leiden nicht primär an materiellen Problemen. Sie bestreiten ihren Lebensunterhalt als KopfarbeiterInnen, sind Journalist, (angehende) LehrerInnen, Verleger, WissenschafterInnen, TV Mitarbeiterin oder Architekt (so es sich um Frauen handelt, haben sie ihren Beruf mitunter auch der Familie wegen aufgegeben oder üben Sozialberufe aus).





Filme:
Dutschke (2008, ZDF)
Mitte 30 (2007, ARD)
Sommer ’04 (2005)
Ein toter Bruder (2004, ARD)
Scheidungsopfer Mann (2003, ZDF)
Familienkreise (2002, ARD)
Sie haben Knut (2002)
Die Erpressung – Ein teuflischer Pakt (2001, SAT.1)
Ende der Saison (2000, ARD)
Barracuda Dancing (1999, TV)
Macht man eigentlich anders (1998)
Der Trainer (1997)
K.O. – Portrait eines Boxers (1995)
Chubab (1994 )
Blackfast (1992)


In den Filmen sieht man sie dann aber doch erstaunlich oft bei Tätigkeiten, die einerseits physischen Einsatz verlangen, andererseits eine körperliche Nähe zu einer zweiten Person produzieren. Momente, in denen es zu heftigen Auseinandersetzungen kommt oder die in den Austausch von Zärtlichkeiten münden: etwa, wenn eine praktisch veranlagte Frau gleich ein ganzes Küchenkästchen nach ihrem Ehemann wirft, als der ihr just beim Heimwerken eröffnet, dass er mit einer anderen leben will. Wenn ein Mann und eine Frau beim gemeinsamen Abwasch in der engen Küche nicht aneinander vorbei kommen. Wenn zwei beim Schifahren dieselben Pisten mögen. Oder wenn die Handgriffe und Routinen des Segelns auf einem kleinen Boot für Gleichklang sorgen.

Die Filme erstellen fiktive Biografien von Zeitgenossen. Sie bleiben jedoch im Anschnitt, verzeichnen etwas, mehr im Sinne eines Chronisten als in Form einer abschließenden narrativen Bewegung: ein oder zwei Wochen, ein paar Monate aus dem Leben von. Phasen, in denen sich jeweils Entscheidendes ereignet, aber ohne dass danach endgültige Klarheit herrschen würde. Dutschke nimmt hier eine Sonderstellung ein, da er sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und auf einer realen Biografie fußt. Trotzdem ist kein klassisches durchpsychologisiertes Biopic zu erwarten: Wie es in einer Aussendung des Auftraggebers ZDF heißt, handelt es sich um einen „doku-fiktionalen Film“, Gesprächspassagen mit WeggefährtInnen und Kommentatoren alternieren mit Spielszenen.

(Den gesamten Einführungstext zu Stefan Krohmer, verfasst von Isabella Reicher, finden Sie im Diagonale-Katalog 2009.)


 


Filme von Stefan Krohmer bei der Diagonale 2009

Dutschke – work in progress
Ende der Saison
Mitte 30
Sie haben Knut
Sommer 04